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AutorenbildMarkus Müller

Kreislaufökonomie. Produkte zirkulär gestalten.

Aktualisiert: 21. Jan.

In den vereinigten Staaten von Amerika existiert seit Langem ein Kinderlied mit dem Titel «The 3 R's - Reduce, Reuse, Recycle». Damit werden Kinder sensibilisiert, was Ressourcenverschwendung bedeutet und welche Strategien zur Verfügung stehen, um diese zu vermeiden oder zumindest zu vermindern. So stehen die «3 R» im Lied für: Reduce = Unnötiges gar nicht zu kaufen. Reuse = Was nicht wirklich defekt ist, soll so lange verwendet werden, wie es geht. Und Recycle = Nichts wird einfach so weggeworfen. Wo es eine Sammelstelle für bestimmte gebrauchte Güter (Glas, Plastik, Papier etc.) gibt, werden sie auch fachgerecht gesammelt.


Der hawaiianische Popmusiker Jack Johnson legte das Kinderlied «3 R» Mitte der 2'000er-Jahre in einer funkig-poppigen Version neu auf.

Was Jack Johnson 2006 besang, gilt auch heute noch als Grundlage für zirkuläre und damit nachhaltige Produktstrategien. Aus den «3 R» sind jedoch mittlerweile ganz viele «R's» geworden. Das sind - je nach Modell - bis zu «10 R». Wir selbst arbeiten mit einem «7 R-Modell», das gewisse Punkte zusammenfasst und vereinfacht. Die «7 R» stehen für REFUSE, REDUCE, REUSE, REPAIR/REFURBISH, REMANUFACTURE, REPURPOSE und RECYCLE.


Kreislaufökonomie: Die Bedeutung der «7 R» im produzierenden Gewerbe


REFUSE

Das englische Wort «refuse» hat in der deutschen Sprache viele Bedeutungen. So kann es als «ablehnen», «zurückweisen» oder «verzichten» verstanden werden. Im weitesten Sinn heißt das, dass einzelne Bestandteile eines Produktes komplett weggelassen werden. Ein sinnbildliches Beispiel dafür bieten Plastik-Getränkeflaschen. Um die Strategie REFUSE hier anzuwenden, kann die Kreativtechnik der «Provokation» von Edward de Bono angewandt werden. Mit der Submethode «Annahme aufheben» lassen wir Bestehendes und Selbstverständliches bei Produkten und Angeboten weg. Bei der Getränkeflasche ist dies... die Flasche selbst! Und damit stellen wir uns die Frage: «Wenn wir die PET-Flasche ganz weglassen, in welchen Behältnissen könnten wir das Getränk anbieten»? Dann beginnt die Kreativphase mit alternativen Ideen für eine echte Kreislaufökonomie. Die Resultate werden mit den Kriterien «Kann das (neue) Material möglichst einfach rezykliert werden?» oder «Besteht das neue Material aus nachwachsenden Rohstoffen» bewertet? Oder noch radikaler wäre der Lösungsansatz, dass es gar kein Behältnis mehr braucht, weil alles künftig in einer Art Rohrsystem transportiert wird, und erst beim Genuss in ein Trinkglas fließt.


Aus einer anderen Perspektive betrachtet, könnte man «Refuse» auch als «Entmaterialisierung» bezeichnen. Diesen Effekt kann man gut in der Tonträgerbranche beobachten. In den knapp zwanzig Jahren zwischen 2002 und 2021 sank der Verkauf von Musik-CDs um über 80 % (siehe nachfolgende Infografik), weil der Musikmarkt zu einem großen Teil digitalisiert wurde (Download & Streaming). CDs bestehen überwiegend aus Polycarbonat (PC). PC ist hochwertiger und relativ teurer Kunststoff und damit ein Erdölderivat. Entmaterialisierung durch Digitalisierung: In diesem Sinn ebenfalls ein guter Beitrag an eine nachhaltige Wirtschaft.


Entwicklung des CD-Absatzes in Deutschland 2002 - 2021 von 130 Mio. zu 25 Mio. CD's
Musik-CD-Absatz in Deutschland 2002 - 2021

REDUCE

Nicht so radikal wie die Strategie «Weglassen» ist das «Reduzieren». Hierbei kommt die Grundsatzfrage «Was könnten wir tun, damit weniger Material verbraucht wird?» zum Einsatz. Das würde bei der PET-Flasche ggf. bedeuten, dass man keine Halbliterflaschen mehr produziert, sondern nur noch 5-Liter-Gebinde, weil es vielleicht weniger Rohstoffe und Aufwand benötigt, ein Großgebinde anstelle von zehn Kleinflaschen herzustellen. «Weniger» kann auch heißen, die Flasche dünner zu machen oder kann bedeuten, dass man das Grundmaterial austauscht, um weniger davon zu verbrauchen.


Ein klassisches Beispiel, bei dem in der Praxis sehr viel «weggelassen» wurde, ist der Motor eines Elektroautos. Ein solcher besteht noch aus ca. 200 Einzelteilen. Das ist im Vergleich zu einem Verbrennermotor eine Reduktion von rund 85 %, besteht ein solcher doch aus über 1'400 Einzelteilen. Natürlich ist in diesem stark simplifizierten Vergleich nicht berücksichtigt, welche Materialien bei den beiden Motoren verwendet werden. Aber grundsätzlich gilt: Wo weniger verwendet wird, ist weniger Verschleiß zu erwarten, damit weniger Ersatz von Teilen. Was eine klar nachhaltige Strategie darstellt.

Dass nachhaltiges Design auch viel Innovationspotential mit einzigartigen Vorteilen mit sich bringt, zeigt wiederum der Motor eines Elektroautos. Weil viel weniger Teile verbaut werden, ergibt sich mehr Platz, was bei vielen Elektroautos dazu führt, dass nicht bloß ein klassischer Kofferraum im hinteren Fahrzeugteil vorhanden ist, sondern auch ein sogenannter «Frunk», ein «Front Trunk», ein kleiner Kofferraum unter der Motorhaube.


Als Grundlage der beiden ersten zirkulären Design-Strategien geht meist eine Art des Reverse Engineerings oder Reengineerings voraus. Reverse Engineering ist der Prozess, bei dem man ein ausreichendes Verständnis für ein Produkt auf Designebene erlangt, indem man es - einfach ausgedrückt - in dessen Einzelteile zerlegt. Erst wenn man genau weiß, woraus etwas Ganzes besteht, kann man einfach «reduzieren» oder «weglassen». Beim Reverse Engineering wird das System (noch) in keiner Weise verändert. Reengineering hingegen bezeichnet die nachmalige Neugestaltung des Produkts über zirkuläre Strategien.


REUSE

Gehen wir wiederum zu «unserer» PET-Flasche zurück. Die Strategie «Reuse» würde uns zu folgender Frage führen: «Was könnte man tun, damit man eine PET-Flasche wieder und wieder verwenden kann?» Oder: «Wie müsste ein PET-Flasche beschaffen sein, damit sie immer wieder verwendet werden kann?» Die Antwort könnte folgende sein: «Die PET-Flasche müsste so dick sein, dass sie problemlos heiß ausgespült, und somit desinfiziert/sterilisiert werden kann!» «Reuse» können im «B2B-Kontext» auch Gebrauchtwaren sein. Kaufen Sie immer nur neue Autos? Oder haben Sie auch schon einmal einen Gebrauchtwagen erstanden? Dann ist dies nichts anderes als Reuse! Leider hat diese Strategie immer noch einen schalen Beigeschmack, da bei vielen Menschen «Second Hand-Ware» einen schlechten Ruf hat. Nicht einmal in dem Sinne, dass diese nicht mehr wertig wäre. Sondern vielmehr darum, weil man sich doch - in der «vermögenden» westlichen Welt - etwas Neues leisten kann. Es muss doch nichts Gebrauchtes sein, wir haben das Geld, etwas Neues zu kaufen!

Glücklicherweise erfährt diese Einstellung in Zeiten der begonnenen Nachhaltigkeits-Transformation stetig eine Aufweichung. Insbesondere im B2B-Umfeld, wo es schon diverse Plattformen wie www.maschinensucher.ch oder https://trademachines.ch gibt.


REPAIR/REFURBISH

Bei dieser Strategie geht es grundsätzlich darum, dass ein Produkt länger als üblich verwendet werden kann. Das erreicht man bspw. in vielen Fällen durch einen durchdachten Unterhalt. Sind Sie Hausbesitzer:in? Wenn Sie Ihre Immobilie bauen, darin täglich leben und sie nie unterhalten, hätte diese - oder zumindest die technischen Geräte und Inneneinrichtungen - wohl eine Lebensdauer von 50, im besten Fall vielleicht 100 Jahren. Aber Sie halten die Immobilie instand. Das Dach wird nach einigen Jahrzehnten neu gedeckt, sanitäre Anlagen oder die Heizung werden gewartet und die Fassade erhält einen neuen Anstrich. Ich selbst wohne in einem Haus, das geschichtlich das erste Mal um das Jahr 1400 erwähnt wurde. Es ist dank stetiger Instandhaltung immer noch gut in Schwung!


Zur vierten zirkulären Designstrategie gehört auch die Reparatur. Der feine Unterschied zu «refurbish» ist jener, dass Maschinen, Gebäude, Möbel u. v. m. nicht präventiv instandgehalten werden, sondern dass sie repariert werden, wenn sie defekt sind.

Schauen Sie doch einmal in Ihre Hosentasche oder links bzw. rechts neben sich auf den Tisch. Sehen Sie ein Smartphone? Wahrscheinlich ja! Hand aufs Herz, wann haben Sie sich das letzte Mal die Mühe gemacht, ein in die Jahre gekommenes, defektes Smartphone reparieren zu lassen? Den Akku zu ersetzen oder ein neues Frontglas einzubauen? Ich kenne das von mir selbst mit dem bequemen inneren Rechtfertigungsdialog: «Ach... das Handy ist ja schon so alt, da darf es ruhig mal ein Neues sein!» Oder: «Ich weiß gar nicht, wer das überhaupt noch repariert... ich mag auch gar nicht lange suchen, ich habe kaum Zeit!» Oder: «Die Reparatur kostet die Hälfte eines neuen Smartphones, das lohnt sich nicht mehr!»


Ein weiteres, nicht explizit aufgeführtes «R» steht für «RETHINK». In Transformationen wie einem zirkulären Prozess muss vieles neu gedacht werden. Viele alte - auch lieb gewordene Zöpfe - sollten abgeschnitten werden. Oft muss man - um beim Handy-Beispiel zu bleiben - nicht gleich radikal weglassen (REFUSE), sondern sich mit etwas weniger zufrieden geben. Ich habe, nachdem ich vergangenes Jahr nach sieben Jahren der Nutzung, ein neues Smartphone kaufen musste, entschieden, auf gewisse Dinge zu verzichten. So zum Beispiel auf eine erstklassige Kamera. Diese kriegt in meinem neuen Fairphone höchstens die Bewertung: «Sagen wir mal, sie funktioniert und bei Tageslicht sind die Bilder ganz OK.» Aber sie kommt nie an die Top-Kamera in meinem letzten Smartphone heran.


Im Privatleben kennt man Repair Cafés, wo man gewisse Dinge flicken lassen kann. Leider sind das sehr häufig nur «einfachere» Artikel wie Textilien oder Modeschmuck. Dass Unterhaltungselektronik oder Haushaltgeräte nicht mehr repariert werden können, liegt oft nicht einmal am Willen, dies zu tun. Sondern an der Erhältlichkeit von Ersatzmaterialien wie Dichtungen, Spezialschrauben, Motoren etc. Auch hierzu ist von zahllosen Unternehmen noch viel «RETHINK»-Arbeit gefordert.


Zum Abschluss dieses Abschnitts jedoch noch ein vorbildliches Beispiel: Die Outdoorbekleidungsfirma PATAGONIA besitzt «Worn Wear-Trucks». Das sind Lastkraftfahrzeuge mit einer integrierten Werkstatt. Die Trucks fahren z.B. im Winter von Skiort zu Skiort, wo Sportler:innen, die Patagonia-Funktionskleidung besitzen, ihre Lieblingsstücke kostenlos flicken lassen können.


REMANUFACTURE

Im Grunde genommen, eine einfache, aber relativ aufwändige Strategie. Bevor bspw. eine in die Jahre gekommene Maschine in «Rente geht», wird sie fein säuberlich in ihre Einzelteile zerlegt. Diese werden aufbereitet und alles, was wieder eingesetzt werden kann, wird in anderen Maschinen wiederverwendet.


REPURPOSE

Im Privatleben ist diese Strategie eine hippe Art, Gegenständen neues Leben einzuhauchen. Das heißt dann nicht «repurpose», sondern «upcycling» oder «Life Hacks». Hip deshalb, weil man auf sozialen Medienkanälen wie Pinterest unzählige Seiten (Bsp.: https://www.pinterest.de/alohalohas/repurpose-%2B-upcycling) findet, die auf kreative Art und Weise zeigen, wie man alte Dinge länger am Leben halten kann. Nur nicht mehr mit dem ursprünglichen Einsatzzweck. So werden aus alten Jeans Schlüsselanhänger, aus abgetragenen Pullovern Strickpantoffeln oder aus alten Stiefeln Vogelhäuser.


Was im Hobbybereich oft nur ein wenig Kreativität erfordert, wird in der Industrie oder im Gewerbe rasch komplexer. Doch auch hier gibt es gute Beispiele, wie «repurpose» erfolgreich angewendet wird. Die Batterien von Elektroautos können zwar heute zu einem großen Teil rezykliert werden. Bevor sie allerdings recycelt werden, kriegen sie ein «zweites Leben» als stationäre Energiespeicher in Unternehmen oder öffentlichen Gebäuden.

RECYCLE

Last but not least... wenn alle Strategien ausgeschöpft sind, bleibt nur noch das Recycling als echte zirkuläre Strategie. Doch auch dies bedingt einen «Loop» im Produktedesign, der ganz an den Anfang zurückgeht. Denn sämtliche Rohstoffe, Einzel- und Bestandteile sollten aus Materialien geschaffen sein, die entweder rezyklierbar oder vollständig abbaubar sind. Das ist in vielen Fällen noch eine Herausforderung für die Wirtschaft.

Zum einen von der kalkulatorischen Seite her. Weil bspw. viele herkömmlichen Massenprodukte aus Kunststoff so günstig produziert werden können, dass es häufig keinen Ersatz gibt, der nicht ein Mehrfaches kostet. Zum anderen sind in vielen Bereichen Verbundstoffe noch ein großes Hindernis für ein umfassendes Recycling. Im Lebensmittelbereich werden auch heute noch viele Verbundstoffe eingesetzt. So z.B. plastifiziertes Papier für Brote, das nicht über das herkömmliche Altpapierrecycling «entsorgt» werden kann. Oder Pralinenhüllen, bei denen Aluminium und Kunststoff so verschweißt sind, dass sie im Haushalt nicht getrennt werden können.


Natürlich gibt es auch hier bereits unzählige Beispiele, dass innoviert wird und «es» funktioniert. So können Getränkekartons (wie Milchtüten oder Fruchtsaftbehälter), die auch aus Verbundstoffen bestehen (Aluminium, Plastik und Karton) über ein innovatives Trennverfahren in die Einzelteile «gespalten» und hernach rezykliert werden.


Ein weiteres positives Beispiel ist die 2020 gegründete israelische Firma «balena.» Das Startup entwickelt kompostierbare und biologisch abbaubare thermoplastische Kunststoffe. Im vergangenen Jahr sorgte das Jungunternehmen für Aufsehen mit dem ersten Modeprodukt aus deren BioCir-Material, das vollständig kompostiert werden kann, wie der nachfolgende Videoclip zeigt.



Die vielen positiven Beispiele aber auch noch nicht gelösten Herausforderungen zeigen auf jeden Fall eines: Die Betätigungsfelder sind noch riesengroß und innovativen Berufsleuten bietet sich allein schon in den Betätigungsfeldern «Materialwirtschaft» und «ökologisches Produkte(re-)design» ein Tummelfeld für kreative und innovative Lösungen, die hoffentlich in den kommenden Jahren auf uns zukommen. Für jede Organisation aus dem herstellenden Gewerbe ein Suchfeld für Innovationen, das enorm viel Spielraum bietet, um sich auch über ein gutes Innovationsmarketing ein einzigartig positives Image zu erarbeiten.


Die Circular Design Matrix für die Kreislaufökonomie: Das Goodie zum Artikel


Das Bild zeigt eine Ansicht der Circular Design Matrix von SOULWORXX und eine dazu gehörende Trigger-Fragenkarte.
Circular Design Matrix - Die CRAMPORRD-Methode. Ein Klick auf das Bild vergrössert die Ansicht.

Zum dritten Artikel gibt es etwas ganz Spezielles. Wir haben eine eigene Kreativtechnik entwickelt: Die Circular Design Matrix! Es handelt sich dabei um eine systematisch-strukturierte Kreativmethode, die zwar noch keine zirkulären Produkte designt, jedoch zahlreiche Ideen liefern wird, wie man die eigenen Produkte und Dienstleistungen zirkulär gestalten kann. Sogar einen Namen hat die Matrix erhalten: Sie wurde CRAMPORRD-Methode getauft. Zur Methode gehört ein Poster im A1-Format (Flipchart-Format), auf dem die Ideen gesammelt werden. Und ein digitales Triggerkartenset mit 50 Fragen zum Ausdrucken für Workshops. Die Fragen helfen eurem Gehirn, kreative Sprünge zu vollführen. Das Zubehör zur CRAMPORRD-Methode (inkl. Anleitung) stellen wir dir - wenn du interessiert bist - wieder (fast) kostenlos zur Verfügung. Für den kleinen Gegenwert deiner E-Mail-Adresse in unserem Newsletter-Verteiler UND einer kurze Mail an uns erhältst du mit der Antwort postwendend das Toolset in digitaler Form zugestellt.


SOULWORXX hilft dabei, zirkuläre Innovationsprozesse anzustoßen, konzipiert und moderiert entsprechende Workshops und Veränderungsprozesse.



Der nächste, vierte Beitrag in dieser Artikelserie widmet sich der Frage, wie man Prozesse nachhaltiger gestalten kann. Und liefert Antworten dazu. Zudem werfen wir einen Blick auf verschiedene zirkuläre Geschäftsmodelle und wie man Mitarbeitende möglichst schnell einbinden kann.


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